Jugenddialoge auf Kreisebene im Landtag

Auf Tuchfühlung mit der Landespolitik

Wie fühlt es sich an, mitten im politischen Geschehen zu stehen? Diese Frage konnten sich die 45 Teilnehmenden am Projekt „Jugenddialoge auf Landkreisebene“ nach ihrem Besuch im Landtag von Baden-Württemberg Ende Januar selbst beantworten. Junge Menschen aus ganz Baden-Württemberg kamen zusammen, um sich über ihre Erfahrungen mit Jugendbeteiligung auszutauschen und Einblicke in die Arbeit des Parlaments zu gewinnen.

Auf der Agenda standen unter anderem der Besuch einer Debatte im Landtagsplenum sowie ein direkter Austausch mit dem Sozialminister Baden-Württembergs, Manfred Lucha, sowie mit den jugendpolitischen Sprecherinnen und Sprechern der Fraktionen. Ein Reigen von Ansprachen sollte der Besuch im Landtag gerade nicht werden. Deshalb hielten sich die jugendpolitischen Sprecher Erwin Köhler (Grüne), Manuel Hailfinger (CDU), Andreas Kenner (SPD), Alena Fink-Trauschel und Dennis Birnstock (beide FDP) sowie Dennis Klecker (AfD) erfrischend kurz, als sie aufgerufen waren, ihren Werdegang, ihre Werte und Ziele darzulegen.

Schnell ging’s dann in den direkten Austausch mit den Jugendgemeinderäten, Kreisjugendräten und den anderen Teilnehmern, die sagten, was auf ihrer eigenen Agenda steht. Schnell kristallisierten sich die wichtigsten Themen heraus: Das unausgereifte ÖPNV-Angebot im ländlichen Raum gehört zu den Dauerbrennern, die mangelnde digitale Ausstattung von Schulen ebenso. Die Sorge um einen allgemeinen Abfall des Bildungsniveaus treibt viele junge Engagierte um – insbesondere auch die Demokratiebildung sehen sie in Gefahr. Bessere Freizeitangebote und ein öffentlicher Raum, der stärker auf die Bedürfnisse Jugendlicher zugeschnitten ist, stehen ebenfalls aus der Agenda.

Zwischen Krise und Mitbestimmung: Warum Jugendengagement heute so wichtig ist

Schnell wurde klar: Die Jugendlichen haben eine genaue Vorstellung, was sie verändern wollen. Dabei ist es keineswegs selbstverständlich, dass sie sich in diesen Zeiten überhaupt politisch engagieren. Klimakrise, Pandemie und Kriege erzeugen ein Gefühl der Ohnmacht, und die „rauen Tonalitäten“, die in der politischen Kultur Minister Lucha zufolge Einzug gehalten haben, tun ihr Übriges. Das sei gefährlich, so der Minister, lebe Demokratie doch von Teilhabe und Engagement. Umso wichtiger ist dem Minister der Masterplan Jugend, der Jugendliche zum festen Bestandteil der Politik machen soll. Um auf krisenhafte Entwicklungen zu reagieren gelte es, die Kinder- und Jugendbeteiligung strukturell zu stärken, so der Minister weiter.

Erkenntnisse aus dem Plenum

Einige erlebten zum ersten Mal eine politische Debatte live – und zogen überraschende Erkenntnisse daraus. „Ich war überrascht, dass so viele Zwischenrufe kamen“, erzählt Paulina Bongarts (16), die für den Kreisjugendrat Konstanz aktiv ist. „Im Bundestag kennt man das ja schon, aber hier war es noch mal etwas direkter. Gleichzeitig hat man aber auch gesehen, dass sich die Abgeordneten in kleineren Runden eigentlich gut verstehen.“ Ähnlich sah es Alisha Gondal (17) aus Freudenstadt: „Es war fast witzig, wie viele während der Debatte einfach am Handy waren. Aber vielleicht gibt es eben auch Themen, die nicht jeden gleichermaßen interessieren.“ Für viele der Jugendlichen war der Landtagsbesuch aber nicht nur eine Gelegenheit, Politik aus nächster Nähe zu erleben, sondern auch ein Forum, um ihre eigenen Themen einzubringen.

Jugendbeteiligung – viele Wege führen zum Ziel

Die Jugendlichen, die sich im Rahmen des Projekts engagieren, sind auf ganz unterschiedliche Weise zur Politik gekommen. Einige, wie Caleb Maier (15) aus Pfullingen, wurden durch Flyer oder Schulprojekte auf Jugendgemeinderäte aufmerksam. „Ich dachte mir damals: Warum eigentlich nicht?“, erzählt er. „Jetzt bin ich schon seit drei Jahren dabei und es ist richtig cool, weil wir wirklich was verändern können.“

Andere, wie Paulina Bongarts, entschieden sich eher spontan. „Ich war auf einer Kreisjugendkonferenz und fand es spannend, dass wir dort konkrete Projekte entwickeln konnten“, berichtet sie. „Dann wollte ich aber auch wissen, was danach damit passiert – also habe ich mich am letzten Tag der Bewerbungsfrist aufstellen lassen.“

Egal, auf welchem Weg die Jugendlichen zur Politik fanden, sie alle eint der Wunsch, ihre Umgebung mitzugestalten. Doch wie gelingt das am besten?

Diese Themen sind den Jugendlichen besonders wichtig:

Die Gespräche zeigten, dass sich viele junge Menschen um dieselben politischen Fragen sorgen. Besonders häufig genannt wurden:

  • Bildung & Digitalisierung: Viele empfinden das Schulsystem als nicht mehr zeitgemäß. „Wir brauchen modernere Bildungspläne, die stärker an die Zukunft angepasst sind“, fordert beispielsweise Ilyas Kocatas (16), ein Teilnehmer aus dem Bodenseekreis.
  • ÖPNV & Mobilität: „Für uns Jugendliche ist es einfach zu teuer, mit der Bahn zu fahren“, erklärt Paulina Bongarts. Viele wünschen sich deshalb ein vergünstigtes Jugendticket.
  • Migrationspolitik & Demokratiebildung: „Wir brauchen einen konstruktiven Dialog über Migration, der nicht nur negativ geführt wird“, sagt Alisha Gondal.
  • Freizeitangebote & öffentliche Räume: Caleb Maier berichtet über die Initiative für neue Aufenthaltsorte in Pfullingen. „Ein Platz, wo sich Jugendliche treffen können, macht einen riesigen Unterschied.“
  • Beteiligung ernst nehmen: „Manche Bürgermeister haben gar keinen richtigen Draht zur Jugend“, stellt Paulina Bongarts fest. „Deshalb ist es so wichtig, dass wir präsent sind und unsere Anliegen klar machen.“

Jugendbeteiligung auf Landkreisebene – ein Modellprojekt

Das Projekt „Jugenddialoge auf Landkreisebene“ wurde vom Ministerium für Soziales, Gesundheit und Integration Baden-Württemberg gefördert und vom Institut für angewandte Sozialwissenschaften Stuttgart begleitet. Es soll als Blaupause für eine verstärkte Jugendbeteiligung in Landkreisen dienen, in dem es verschiedene Formate und Zugänge der Beteiligung erprobt. Das Projekt ist Teil des Masterplans Jugend, einer umfassenden landespolitischen Strategie zur Weiterentwicklung der Kinder- und Jugendarbeit. Kooperationspartner sind Träger der Jugendarbeit sowie acht Landkreise Bodenseekreis, Calw, Emmendingen, Esslingen, Freudenstadt, Lörrach, Reutlingen und der Rhein-Neckar-Kreis.

Sozialminister Manne Lucha betont:

„Die Erfahrungen in unserem Projekt „Jugenddialoge auf Landkreisebene“ haben es bestätigt: Politik und freiwilliges Engagement sind für junge Menschen wichtig. Sie wollen mitreden und ihre Sicht auf die Dinge einbringen“, so Sozialminister Manne Lucha. „Es gibt nicht den einen Weg zu einer Jugendbeteiligung auf der Ebene der Landkreise, der für alle funktioniert“, so Minister Lucha weiter.

„Wir brauchen verschiedene Zugangswege, um die jungen Menschen mit ihren Bedürfnissen und Interessen zu erreichen. Das kann über eine kreisweite Jugendkonferenz sein, über einen Jugendbeirat oder über die Jugendsozialarbeit. Dabei ist Kontinuität genauso wichtig wie zeitlich befristete Angebote, bei denen sich junge Menschen punktuell einbringen können.“

Die Pilotprojekte zeigen bereits erste Erfolge: In einigen Landkreisen wurden feste Strukturen geschaffen, die es Jugendlichen ermöglichen, dauerhaft Einfluss zu nehmen.

Wie ernst wird Jugendbeteiligung genommen?

Eine zentrale Frage bleibt: Haben die Jugendlichen wirklich Einfluss, oder bleibt ihr Engagement symbolisch?

Denis Parduzi (18) aus dem Bodenseekreis ist zuversichtlich: „Wir haben zwei Sitze im Kreistag und im Jugendhilfeausschuss sind wir sogar im nicht-öffentlichen Teil dabei. Unsere Anliegen werden gehört.“

Eric Just (15) aus Münsingen hingegen hat einen kritischeren Blick: „Ich habe das Gefühl, dass viele Themen zu allgemein bleiben. Über Energiekrisen wird viel geredet, aber die Situation an den Schulen und in der Ausbildung kommt oft zu kurz.“

Ein weiteres Problem: Zeitmangel. Levent Atakul (15) aus dem Rems-Murr-Kreis ist bereits Schülersprecher und bei der Freiwilligen Feuerwehr aktiv, überlegt aber, auch in den Kreisjugendrat einzutreten: „Ich finde es wichtig, mich einzubringen, aber es ist manchmal schwer, alles unter einen Hut zu bekommen.“

Trotz aller Herausforderungen sehen die meisten ihre Arbeit positiv: „Es ist grandios, dass wir die Möglichkeit haben, konkret etwas zu verändern“, fasst Caleb Maier zusammen. „Und wenn wir es nicht tun, wer dann?“

Jugend mischt mit – und fordert mehr Mitbestimmung

Der Besuch im Landtag hat gezeigt, wie groß das Interesse an Politik bei jungen Menschen ist – wenn sie sich gehört fühlen. Viele der Teilnehmenden engagieren sich bereits aktiv, andere wurden durch das Projekt erstmals für Jugendbeteiligung sensibilisiert.

Die Forderung der Jugendlichen ist klar: Mehr Räume für Mitbestimmung, ernsthafte Einbindung in politische Entscheidungen und konkrete Verbesserungen im Alltag. Ein erster Schritt ist getan – nun liegt es an der Politik, die Impulse der Jugendbeteiligung weiterzutragen.

 

Bericht über den Besuch im Landtag (Jonathan Brenner, Bodenseekreis)

Unser Besuch im Landtag war eine spannende Erfahrung und bot uns die Möglichkeit, Politik hautnah zu erleben. Besonders positiv fiel auf, dass viele Abgeordnete aller Fraktionen Offenheit und Nahbarkeit zeigten. Sie waren interessiert an unserer Arbeit in der Jugendvertretung und betonten, wie wichtig das Engagement junger Menschen vor Ort ist. Es wurde deutlich, dass Jugendbeteiligung geschätzt wird und es viele Möglichkeiten gibt, direkt mit der Politik in den Austausch zu treten.

Ein Höhepunkt des Tages war die Debatte zum Thema „Europe United“. Die Diskussion war äußerst lebendig, da sich die Redner gegenseitig herausforderten und mit viel Leidenschaft ihre Positionen vertraten.

Während einige betonten, dass eine starke EU essenziell für Frieden und wirtschaftliche Stabilität sei, äußerten andere Bedenken hinsichtlich der Souveränität der Mitgliedsstaaten. Besonders spannend war es, die unterschiedlichen Argumente zu hören und zu erleben, wie Politik im Landtag tatsächlich funktioniert.

Nach der Debatte wurde ein Antrag der CDU-Fraktion vorgestellt, der sich mit der Zukunft des Handwerks in Baden-Württemberg beschäftigte. Die Diskussion machte deutlich, dass das Handwerk vor großen Herausforderungen steht, vor allem beim Fachkräftemangel. Gleichzeitig wurde aber auch über die Chancen gesprochen – insbesondere in den Bereichen Nachhaltigkeit und regionale Produktion. Das Ministerium für Wirtschaft, Arbeit und Tourismus erläuterte, welche Maßnahmen ergriffen werden, um das Handwerk zu stärken und Ausbildungsberufe attraktiver zu machen.

Anschließend hatten wir die Möglichkeit, direkt mit Abgeordneten ins Gespräch zu kommen. Die jugendpolitischen Sprecher Andreas Kenner (SPD), Dennis Klecker (AfD), Alena Fink-Trauschel/Dennis Birnstock (FDP), Manne Lucha (Sozialminister), Erwin Köhler (Grüne) und Manuel Hailfinger (CDU) stellten sich vor und berichteten über ihre Arbeit. Sie erklärten, welche Themen ihnen besonders wichtig sind und beantworteten unsere Fragen. Es war eine tolle Gelegenheit, jugendrelevante Themen direkt anzusprechen und verschiedene politische Sichtweisen kennenzulernen.

Zum Abschluss wurde uns der Jugendlandtag vorgestellt, bei dem junge Menschen in die Rolle von Abgeordneten schlüpfen und eigene Anträge einbringen können. Nach der lebhaften Debatte am Vormittag war dieser Teil ruhiger, aber dennoch interessant, da er zeigt, wie junge Menschen sich aktiv politisch einbringen können. Während unseres gesamten Aufenthalts fühlten wir uns sehr sicher. Der Sicherheitsdienst war präsent und sorgte für einen geregelten Ablauf. Gleichzeitig war die Atmosphäre offen und einladend, sodass wir uns gut aufgehoben fühlten.

Insgesamt war der Besuch eine bereichernde Erfahrung. Besonders beeindruckend war die Möglichkeit, mit Abgeordneten direkt ins Gespräch zu kommen und einen Einblick in die politische Arbeit im Landtag zu erhalten. Der Tag hat gezeigt, dass Politik nicht nur weit weg passiert, sondern dass es viele Wege gibt, sich als junge Menschen aktiv einzubringen.

 

Ein Tag im Landtag – Politik hautnah erleben (Rrezarta Keqiku, Landkreis Reutlingen)

Am frühen Morgen trafen wir uns in Reutlingen und machten uns auf den Weg nach Stuttgart. Unser Ziel: der Landtag von Baden-Württemberg. Dort angekommen, bekamen wir zunächst eine Einführung in die Abläufe des Parlaments. Besonders spannend war für uns die Information, dass Plenartage nur etwa 2,5 Tage pro Monat stattfinden – eine Tatsache, die vielen von uns neu war.

Kurz darauf durften wir selbst eine Plenarsitzung live miterleben. Es war beeindruckend zu sehen, wie intensiv diskutiert wurde. Gleichzeitig wirkte alles gut organisiert – selbst die Stenografen, die alle zehn Minuten wechseln, taten dies so unauffällig, dass es kaum auffiel. Besonders spannend fanden wir die Debatte zum Thema Künstliche Intelligenz.

Im Anschluss hatten wir die Möglichkeit, mit den politischen Bildungssprechern der verschiedenen Fraktionen ins Gespräch zu kommen. Es war eine wertvolle Gelegenheit, Fragen zu stellen und einen direkten Einblick in die Arbeit der Abgeordneten zu erhalten. Viele von uns bekamen Antworten auf Fragen, die sie sich so vorher nie gestellt hatten.

Nach einer Mittagspause stand ein Vortrag über den Jugendlandtag auf dem Programm – ein Thema, das für uns besonders interessant war, da viele von uns zuvor noch nie davon gehört hatten. Zudem konnten wir uns mit anderen jungen Menschen, aber auch mit älteren Teilnehmenden austauschen.

Am Ende des Tages waren wir um viele Eindrücke reicher. Der Besuch im Landtag hat uns nicht nur gezeigt, wie Politik funktioniert, sondern auch, dass wir als junge Menschen durchaus eine Stimme haben – und sie nutzen sollten.